Mut für Veränderung: Die Geschichte hinter unserem Verein

Das Patriarchat hat eine Tradition, die viel weiter in die Vergangenheit reicht als der Islam. Diese Tradition ist auch in den europäischen Gesellschaften immer noch tief verankert. Die Sitten, Traditionen und die Theologie wurden von Männern festgelegt. Die Frauenbewegung in den westlichen Staaten hat in den vergangenen Jahrzehnten einiges erreicht. Auch wenn der Feminismus in der Mehrheitsgesellschaft immer noch ein Streitthema ist, viel missverstanden wird, die Probleme immer noch nicht aus der Welt geschafft sind, sind doch viele Frauen selbstbewusst und viele hinterfragen auch weiterhin die durch diverse Reformen modernisierte patriarchale Ordnung. Der muslimische Teil der Gesellschaft ist leider mehrheitlich noch nicht so weit.

Der Koran wurde in einer patriarchalen Gesellschaft offenbart. Er war, gemessen an den sozialen Umständen, extrem fortschrittlich. Im Koran gibt es mehrere Verse, die eine Gleichberechtigung von Frauen und Männern gebieten. Allerdings wurden sowohl das soziale als auch das religiöse Leben von den Perspektiven der Männer in einer von Männern dominierten Gesellschaft geprägt. Obwohl die Aufgabe, Gutes zu gebieten und Böses zu verbieten, im Koran allen, Frauen und Männern gleichermaßen zukommt, haben Männer diese Rolle den Frauen geraubt.

Die überwiegende Mehrheit der islamischen Theologen, Koran-Exegeten und Gelehrten vertritt die Auffassung, dass der Frau eine untergeordnete Stellung in der Gesellschaft zukommt und dass Gott den Mann an Vernunft, Verständnis und Intelligenz überlegen erschuf.

Sie vertreten seit Jahrhunderten folgende Meinungen;

  • Die Frau ist von Geburt an mangelhaft. Sie wurde aus der Rippe des Mannes erschaffen.
  • Die Frau ist schuld, die Frau ist verführerisch, die Frau ist wie eine Schlange und sie lieferte den Grund für die Vertreibung aus dem Paradies. Also Erbsünde.
  • Die Frau wurde wegen der Erbsünde mit der Menstruation bestraft. Sie ist unrein.
  • Die Frau hat das Ticket zum Paradies nur, wenn sie ihrem Mann gehorcht.
  • Den Frauen mangelt es an Glauben. Sie sind von Geburt an sündig. Deswegen sollen sie sich noch mehr bemühen und Wege für die Erlösung suchen. Damit treiben sie die Frauen zu jenen Sektenführern, die sich als Vermittler zwischen Menschen und Gott stellen.
  • Männer dürfen Frauen schlagen.
  • Frauen mangelt es an Vernunft, denn bei der Zeugenaussage gilt die Aussage zweier Frauen so viel wie die eines Mannes.
  • Die Frauen sind ein Erbstück.
  • Frauen haben kein Recht mitzusprechen.
  • Die Frauen dürfen keine Führungspositionen besetzen.
  • Der Islam ist mit Demokratie unvereinbar.
  • Männer dürfen unbegrenzt viele Frauen heiraten.
  • Das Freitagsgebet ist nur für Männer vorgeschrieben. Daraus ist auch die Überlegenheit der Männer abzuleiten.
  • Niemand soll den Frauen das Lesen und Schreiben beibringen.
  • Wer seine eigene Vernunft benützt, kommt nicht ins Paradies.
  • Die Menschen brauchen keine Wissenschaft.
  • Wir können urteilen, wer ein guter Gläubiger ist und wer ins Paradies kommt.
  • Sowohl die Stimme als auch das Gesicht von Frauen ist haram.
  • Wenn jemand vom Islam zu einer anderen Religion wechselt, soll er getötet werden.
  • Wer den Propheten schmäht, soll getötet werden.
  • Die Frauen „müssen“ Kopftuch tragen.
  • Die Frauen sollen nicht viel sprechen, sich zurückhalten, mit Männern nicht diskutieren, sondern sich unterordnen.
  • Männer haben einen besseren Status, sind hochrangige Menschen und haben eine adelige Abstammung.
  • Wegen all dieser aufgeführten Punkte sei der Mann der Frau überlegen. Das sei Schicksal und die Frau solle sich damit zufriedengeben.

Die Muslimische Frauengesellschaft steht gegen all diese misogynen Ansichten, die mit dem Islam, dem Koran und dem beispielhaften Leben des Propheten unvereinbar sind, und vertritt eine offene und humanistische Zugang zu Koran und Islam.

Zu all den oben angesprochenen Punkten haben wir Antworten bzw. Argumente aus dem Koran, mit denen wir sie tiefgreifend behandeln und problematische Auslegungen aufklärend widerlegen können.

Kurz zusammengefasst können wir sagen, dass das Verhältnis der Geschlechter im Koran eindeutig geregelt ist: Alle Gebote und Verbote gelten für Frauen und Männer gleichermaßen. Alle Menschen sind gleich an Würde und Freiheit geboren.[1] Niemand ist irgendwem anderen prinzipiell überlegen. Der Koran hält auch fest, dass es kein Volk gibt, das anderen überlegen ist. Der Koran unterscheidet nicht nach Geschlecht und spricht die ganze Menschheit an.[2] Gott, der Allmächtige, verspricht allen Frauen und Männern das Gleiche.[3] Das betrifft auch die Bildung.[4] Der Prophet Muhammad betonte: „Wissen zu erwerben ist für Frauen und Männer, sprich für jedermann, eine Pflicht.“[5]

Der Koran gibt uns Prinzipien vor, die wir überall einhalten können, wie z. B. Tawhid-Lehre (Glaube an die Einheit Gottes), Frieden (das Gebot, auf der ganzen Welt Frieden zu stiften), Gerechtigkeit[6] und Morallehre.

Der Koran rät ab von Ungerechtigkeit, Lüge, Stehlen, Töten, Hochmut, Bestechung, Verschwendung, Verleumdung, Heuchelei, Besetzung öffentlicher Ämter durch unqualifizierte Menschen sowie von Reichtum, der nur unter den Reichen zirkuliert.

Am eindringlichsten empfehlen der Koran und der Prophet Muhammad, dass die Menschen im Guten wetteifern und für die Menschlichkeit Nützliches vollbringen sollen.[7] Wer sich an diese Prinzipien hält, ist schon ein*e gute*r Muslim*in. Der Islam ist eine Religion der Verantwortung, der Selbstverantwortung und des Gottesbewusstseins.

Das ist jedoch eine offene, humanitäre, universelle und progressive Auffassung vom Koran. Denn in der traditionellen Lehre, die sich seit Jahrhunderten durchgesetzt hat, wird eine andere Sicht vertreten, die vielfach auch durch Frauen weitergegeben wird.

Wenn wir die vorherrschende islamische Tradition betrachten, sehen wir viele Diskrepanzen zum Koran, so als ob Allah und der Prophet Muhammed zwei unterschiedliche Religionen aufgebaut hätten. Das kann nicht stimmen, denn die Aufgabe des Propheten war es nicht, dem Koran zu widersprechen, sondern ihm entsprechend zu handeln.

Allah ist für alle offen und jeder kann sich bemühen, Seinen Maßstäben so nahe wie möglich zu kommen. Der Koran hat gängige Anschauungen reformiert, indem Allah alle Menschen von Geburt an gleichstellte.

Wir sind der Auffassung, dass der Koran, genauso wie ihn Allah vor mehr als 1400 Jahren offenbart hat, mehr Potential für sozialen Fortschritt enthält. Tragisch ist allerdings, dass die islamische Tradition dieses große Potential so tief verschüttet; noch tiefer, als Patriarchat, Kapitalismus und Rassismus die Menschenrechte verschütten.

Wir sind uns selbst, unserem Zeitalter, unseren Umständen und Herausforderungen verantwortlich. Deswegen MÜSSEN wir umdenken, neu denken und neu interpretieren.

Es gibt kein Problem mit Frauenrechten im Wesen, in der Botschaft und in der Lehre des Islam. Allerdings haben die Muslime in ihren Traditionen, Kulturen, historischen Erfahrungen und Verhaltensweisen die untergeordnete Stellung der Frauen bewahrt. Das Problem liegt also in der muslimischen Gesellschaft, die nicht nach dem Koran, sondern nach der traditionell patriarchalen Lehre lebt. Daran müssen wir arbeiten.

Denn wir leben im 21. Jahrhundert, mitten in Europa, in einer pluralen Gesellschaft. Es soll uns – vor allem den Frauen – bewusst sein, dass sowohl unsere Herausforderungen als auch unsere Chancen in Österreich und Europa ganz anders als in islamischen Ländern sind.

Die islamische Rechtsfindung war jeweils ortsgebunden und behandelte stets nur die Herausforderungen der jeweiligen Zeit und des jeweiligen Ortes. Die von Menschen eingeführten Methoden können nicht als „Hauptquellen des Islam“ gesehen werden; schon gar nicht mit dem Wissen, dass es seit jeher keine Übereinstimmung in der Rechtsfindung gab.

 

[1] Koran 17:70 „Nun haben Wir fürwahr den Kindern Adams Würde verliehen…“

[2] Koran 49:13 „O ihr Menschen, Wir haben euch aus einem männlichen und einem weiblichen Wesen erschaffen, und Wir haben euch zu Nationen und Stämmen gemacht, damit ihr einander kennenlernt. Wahrlich, der Würdigste von euch bei Allah ist der, der das höchste Gottesbewusstsein hat. Wahrlich, Allah ist Allwissend und Allkundig.“

[3] Koran 4:124 „Sei es Mann oder Frau, wer etwas an rechtschaffenen Werken tut, und dabei gläubig ist, jene werden in den (Paradies)garten eingehen, und es wird ihnen nicht ein Dattelkerngrübchen Unrecht zugefügt.“

Koran 9:71-72 „Die gläubigen Männer und Frauen sind einer der andere Beschützer und Freunde…“/ „Allah hat den gläubigen Männern und Frauen Gärten versprochen, durcheilt von Bächen, ewig darin zu bleiben, und gute Wohnungen in den Gärten Edens. Wohlgefallen von Allah ist aber (noch) größer. Das ist der großartige Erfolg.“

[4] Koran 96:1 „Lies im Namen deines Herrn, Der erschaffen hat.“ Das ist der erst offenbarte Vers.

[5] Ibni Mâdscha, Mukaddima, 17.

[6] Koran 4:135 „O ihr Gläubigen, seid Wahrer der Gerechtigkeit, Zeugen für Allah, auch wenn es gegen euch selbst oder die Eltern und nächsten Verwandten sein sollte! Ob er (der Betreffende) reich oder arm ist, so steht Allah beiden näher. Darum folgt nicht der Neigung, dass ihr nicht gerecht handelt! Wenn ihr (die Wahrheit) verdreht oder euch (davon) abwendet, gewiss, so ist Allah dessen, was ihr tut, kundig.“

Koran 5:8: „O ihr Gläubigen, seid Wahrer (der Sache) Allahs als Zeugen für die Gerechtigkeit. Und der Hass, den ihr gegen (bestimmte) Leute hegt, soll euch ja nicht dazu bringen, dass ihr nicht gerecht handelt. Handelt gerecht. Das kommt dem Gottesbewusstsein näher. Und erhaltet euer Gottesbewusstsein. Gewiss, Allah ist kundig dessen, was ihr tut.

[7] Koran 2:82 „Diejenigen aber, die glauben und rechtschaffene Werke tun, das sind Insassen des (Paradies)gartens. Ewig werden sie darin bleiben.“

Koran 4:122 „Diejenigen aber, die glauben und rechtschaffene Werke tun, die werden Wir in Gärten eingehen lassen, durcheilt von Bächen, ewig und auf immer darin zu bleiben – Allahs Versprechen in Wahrheit. Und wer ist wahrhaftiger als Allah in Seinen Worten?“

Koran 14:23 „Aber diejenigen, die glauben und rechtschaffene Werke tun, werden in Gärten eingelassen, durcheilt von Bächen, ewig darin zu bleiben, mit der Erlaubnis ihres Herrn. Ihr Gruß darin wird sein: „Friede!““

Koran 29:7 „Denjenigen, die glauben und rechtschaffene Werke tun, werden Wir ganz gewiss ihre bösen Taten tilgen und ihnen ganz gewiss das Beste vergelten von dem, was sie taten.“