Die Überlegenheit der Männer begründen die Traditionalisten meistens mit der Sure An-Nisa 4:34. Der erste Teil dieses Verses lautet: „Die Männer stehen in Verantwortung für die Frauen wegen dem, womit Allah die einen von ihnen vor den anderen ausgezeichnet hat und weil sie von ihrem Besitz (für sie) ausgeben …“
In der Zeit der Offenbarung des Koran war der Mann unbestritten in der Gesellschaft und in der Familie das Oberhaupt und galt als überlegen. Trotzdem wollte der Koran zum Ausdruck bringen, dass die Überlegenheit der Männer nicht aus dem Geschlecht resultiert. Es heißt: „womit Allah die einen von ihnen vor den anderen ausgezeichnet hat ….“Allah hat beiden Geschlechtern überlegenes Talent in verschiedenen Bereichen gegeben. Mutter werden, Kinder, also die ganze Menschheit zur Welt zu bringen, kann mit keiner anderen Stärke verglichen werden.
Die meisten Interpretationen leiten von dem Wort „kawwamun“ die Überlegenheit der Männer ab. An anderen Stellen im Koran, z. B. 4:135 und 5:8, kommt dieses Wort auch vor. Dort ist jedoch keine Rede von Überlegenheit. Kawwam bedeutet Treuhandschaft oder Verantwortung, wie es die deutsche Übersetzung richtig wiedergibt. Wir müssen das Wort in Vers 4:34 wie folgt verstehen: Treuhandschaft bedeutet, dass Männer die finanziellen Kosten des Hauses übernehmen und aufgrund ihrer körperlichen Stärke innerhalb der Familie die Verantwortung haben, die Rechte der Familie zu schützen. Das ist nur eine Aufgabe und diese Aufgabe hat nichts mit einer generellen Überlegenheit zu tun. Es handelt sich lediglich um eine Klärung der Verantwortungsbereiche.
Allah macht die Menschen aufgrund ihrer Fähigkeiten und Fertigkeiten verantwortlich. Je nachdem, wer mit welchen Talenten vor den anderen ausgezeichnet ist, soll die Verantwortung übernehmen. Somit gibt es kein Hindernis für Frauen, Entscheidungen zu treffen, wenn es zum Beispiel darum geht, wirtschaftliche Angelegenheiten zu verwalten. Im Gegenteil: In Familien, in denen die Frauen stark und talentiert sind, geht die Entscheidungskompetenz auf die Frauen über und die Männer befolgen die Entscheidungen der Frauen.
In Fällen, in denen die Talente gleich verteilt sind, ist es für Männer und Frauen kein Problem, gemeinsam zu entscheiden und gemeinsam Verantwortung zu übernehmen.
Die Geschlechtergerechtigkeit fängt zu Hause an. Wenn wir in der Familie keine Geschlechtergerechtigkeit haben, können wir sie nirgendwo haben. Denn die Familie ist der Kern der Gesellschaft. Würden wir sowohl den Koran als auch den Propheten richtig verstehen und dementsprechend handeln, könnten wir in der Familie und in der Gesellschaft alle auftauchenden Probleme leichter lösen.
Fatma Akay-Türker (2021), Nur vor Allah werfe ich mich nieder: Eine Muslimin kämpft gegen das Patriarchat, Wien: Edition a, S. 196 ff.
