Vortrag: Diversität muslimischer Frauen

Sehr geehrte Damen und Herren,

Liebe angehende Pädagog*innen,


ich freue mich, heute über ein Thema sprechen zu dürfen, das oft im Schatten von Klischees und Missverständnissen steht.

Die angehenden Pädagog*innen möchte ich auf eine Reise durch die „Diversität muslimischer Frauen“ mitnehmen, mit ihnen gemeinsam entdecken und reflektieren.

Das Thema berührt die Biografien, Erfahrungen und Identitäten vieler Schülerinnen, denen Sie in Ihrer pädagogischen Laufbahn begegnen werden.

Es ist eine Thematik, die wir nicht allein aus der Perspektive der Frauen betrachten können. Denn um die Rolle und die Diversität muslimischer Frauen zu verstehen, müssen wir den historischen und kulturellen Kontext des Islam und die Veränderungen in den Geschlechterrollen mit einbeziehen. 

Verschiedene Strömungen und Schulen haben das Frauenbild im Islam auf unterschiedliche Weise geprägt. 

Lassen Sie uns deshalb einen Blick auf diese theologischen Unterschiede werfen und darauf, wie sie das Leben muslimischer Frauen beeinflussen.

Frauen in der Zeit des Propheten

In der Geschichte des Islams gibt es viele Beispiele, die zeigen, dass Frauen aktiv am gesellschaftlichen Leben teilnahmen. Besonders interessant ist die Rolle der Frauen zur Zeit des Propheten, die in vielerlei Hinsicht als wegweisend für den Islam und die Frauenrechte gilt. 

Sie nahmen an Gemeinschaftsgottesdiensten teil, handelten, arbeiteten als Dichterinnen, Juristinnen und sogar als Kriegerinnen. Der Prophet schätzte ihren Rat und berücksichtigte Frauen in wichtigen Entscheidungen. 

Aischa, die Frau des Propheten, war eine religiöse Autorität, die den Männern in der Moschee die Religion erklärte und sie beriet. Sie war Kommandantin von der Schlacht von Dschamal (Kamelkrieg) im Jahr 656.  Diese Schlacht war eine der ersten großen innerislamischen Konflikte und wurde zwischen den Truppen des vierten Kalifen Ali und den Anhängern von Aischa ausgetragen. Sie führte eine Armee von 30.000 Soldaten, darunter auch viele Gefährten des Propheten.

Das zeigt, dass eine Frau damals sogar eine Armee führen durfte, während es heute heißt, Frauen dürfen weder Führungs- noch religiöse Positionen besetzen.

Doch nach dem Tod des Propheten im Jahr 632 begannen patriarchale Strukturen wieder zu dominieren, und Frauen wurden zunehmend aus dem öffentlichen Leben zurückgedrängt.

Der Wandel nach der Prophetenzeit

Bedauerlicherweise sind einige der Fortschritte aus der Zeit des Propheten in der Zeit danach wieder verloren gegangen. 

Dazu eine Überlieferung des zweiten Kalifen Omar:

Er sagt: „Zur Zeit des Propheten hüteten wir uns davor, die Frauen zu schlagen oder sie mit unseren Worten zu verletzen, da wir uns davor fürchteten, es könne ein Vers über uns herabgesandt werden. Als er verstarb, fingen wir an, sie zu schlagen und sie mit unseren Worten zu verletzen.“ (Buhari, “Nikah“, 80)

Mit der Machtübernahme durch Muʿāwiya I., den ersten Kalifen der Umayyaden-Dynastie, die von 661 bis 680 n. Chr. regierte, gingen die Frauenrechte nahezu vollständig verloren.

Bereits in den Anfängen des Islams entstanden vielfältige Strömungen, die bis heute fortbestehen und unterschiedliche Auslegungen und Strömungen hervorbringen.

Viele wissen vielleicht, dass die Muslime hauptsächlich in Sunniten und Schiiten unterteilt sind. Etwa 85–90 % der Muslime sind Sunniten und 10–15 % Schiiten. Allerdings gibt es innerhalb dieser beiden Gruppen noch weitere Unterteilungen.

Im sunnitischen Islam entwickelten sich die vier Rechtsschulen Hanafiten, Malikiten, Schafiiten und Hanbaliten, die sich in ihren rechtlichen Interpretationen unterscheiden. 

Schiiten: 3 Hauptzweige (Zwölfer-Schia, Ismailiten, Zaiditen) + kleinere Gruppen wie Alawiten und Aleviten. 

Wobei die Aleviten in Österreich bereits als eigenständige Religionsgemeinschaft etabliert sind. Sie vereinen Elemente des Schiitentums und des Sufismus in sich, haben jedoch eigenständige religiöse Praktiken und Überzeugungen.

Daneben gibt es theologische Denkschulen wie den Ash’arismus und Maturidismus, die eher einen rationalen Zugang zur Offenbarung betonen, und den Salafismus, der sich stark an den Praktiken der frühen Gelehrten orientiert und deren Lehren und Ansichten wortwörtlich, ohne Interpretation, befolgt.

Die gesellschaftspolitische Krise, die auf die Verbreitung des Islam folgte, brachte eine Reihe von Fragestellungen im Bereich des Glaubens ins Bewusstsein der jeweiligen Bevölkerungen.

Im 7. und 8. Jahrhundert bildeten sich weitere Gruppierungen wie Kharijiten, Murji’a, Jabriyya, Qadariyya und Mu’tazila, die sich jeweils mit theologischen Fragen wie der Bedeutung von Sünde, Schicksal und freiem Willen auseinandersetzten.

Diese Rechtsschulen und Strömungen prägen das Leben vieler Muslime weltweit und haben ebenfalls eigene Ansätze zur Rolle und den Rechten der Frau. 

Ab dem dritten Jahrhundert des Islams entstanden dann Hadithwerke. 

Im gleichen Jahrhundert war auch frauenfeindliche Gesinnung bereits tief in der Kultur verankert. 

Alle Autoren dieser Werke waren männlich und sie nahmen diese Überlieferungen in ihren Werken auf, die so überliefert wurden, als würden sie vom Propheten stammen und spielten dabei eine sehr wichtige Rolle dafür, dass die Frauenfeindlichkeit als „Religion“ fungierte. 

Da der Koran von allen Muslimen dieser Zeit als vollständig und fehlerfrei galt und er nicht mehr ergänzt werden konnte, lies sich die frauenfeindliche Gesinnung mit erfundenen Hadithen, in Form von „Der Prophet sagte: …“, akzeptieren. 

Durch die Einleitung mit ‘Der Prophet sagte…’ erhielten ihre Ansichten größeres Gewicht und schützten sie vor möglicher Kritik oder Widerspruch.

Politische Machthaber erfanden Hadithe, welche ihre politische Macht stärkten und die Religion für ihre eigenen Zwecke ausnutzten. 

Da sie keine Erklärungen über die Frauen im Koran fanden, die zu den alten Bräuchen oder ihren eigenen Vorstellungen passten, konnten sie ihre gewünschten Ansichten nur als Religion vermitteln, indem sie Hadithe erfanden.

Viele dieser Interpretationen sahen Frauen als Quelle des Unheils an, wenn sie sich außerhalb des Hauses bewegten. 

Durch Einführung des Haram-Systems, das unter dem Einfluss der sassanidischen Kultur zur Zeit der Abbasiden entstand, wurde die Geschlechtertrennung verstärkt. Frauen wurden in den häuslichen Bereich zurückgedrängt, und viele kulturelle Praktiken wie das Schleiertragen, die im sassanidischen und byzantinischen Reich verbreitet waren, wurden von Muslimen übernommen. 

Dieser kulturelle Einfluss zeigt, wie Traditionen aus anderen Gesellschaften die muslimische Gemeinschaft beeinflussten.

Patriarchale Auslegung und ihre Wirkung

Einige einflussreiche Theologen wie al-Ghazālī und ibn al-Dschauzī prägten die Sichtweise auf Frauen über Jahrhunderte hinweg. So argumentierte al-Ghazālī, eine stabile Gesellschaft sei nur möglich, wenn Frauen kontrolliert werden und Männer ihren religiösen und sozialen Pflichten ungehindert nachkommen können. Für ihn waren Frauen „teuflische Wesen“, die die Männer vom rechten Weg abbringen könnten. Ähnliche Ansichten lassen sich bei ibn al-Dschauzī finden, der strenge Verhaltensregeln für Frauen festlegte und davon sprach, dass Frauen sich möglichst wenig in der Öffentlichkeit bewegen sollten. 

„Für az-Zamaḫšari besteht die Verteilung von Pflichten auf einer gerechten Verteilung einer Summe von Pflichten, nicht darin, dass es dieselben Pflichten sind. So ist der Mann für bestimmte Aufgaben nicht gemacht. Hausarbeiten z.B. sind seiner nicht würdig. Wenn die Ehefrau also seine Kleider wäscht oder für ihn backt, ist er nicht verpflichtet, dasselbe zu tun; er tut etwas, was Männern angemessen ist.“

Bis in die moderne Zeit hinein sind immer weitere Einschränkungen der Rechte der Frauen zu beobachten. Beispielsweise Riḍā und ʿAbduh, zwei einflussreiche Exegeten am Anfang des 20. Jahrhunderts, setzen in dieser Sache noch eins drauf. Bis dahin hatten die Gelehrten gesagt, dass Hausarbeiten eines Mannes nicht würdig seien. Rida und Abduh kritisierten die vormodernen Gelehrten dafür, dass sie Hausarbeiten wie Kochen und Backen nicht als religiöse Pflicht der Ehefrau angesehen hatten.

Für Riḍā und ʿAbduh war es Gottes Wille, dass Frauen bestimmte Aufgaben wie Kochen und Backen übernehmen sollten, da dies ihrer Schöpfung entspreche. 

Diese Sichtweisen haben die muslimische Gesellschaft stark beeinflusst und tragen bis heute zur Erhaltung der patriarchalen Strukturen bei.

Es ist merkwürdig, wie unsere „Gelehrten“ zu der Schlussfolgerung gelangen konnten, dass Hausarbeit für einen Mann unwürdig sei. Man könnte sich auch fragen, ob sie den Koran oder das Leben des Propheten tatsächlich gelesen haben.

Es gibt nämlich mehrere Überlieferungen, die belegen, dass der Prophet Muhammad im häuslichen Umfeld aktiv war und Rollenklischees überwand. Er beteiligte sich an der Hausarbeit, indem er kochte, fegte, nähte und seine Kleidung selbst reparierte. Seine Frau Aischa berichtete: „Er half seiner Familie im Haus und wenn das Gebet rief, ging er hinaus.“ Der Prophet kümmerte sich liebevoll um die Kinder, zeigte Mitgefühl und Geduld, und führte durch sanfte Anleitung anstatt durch Befehle. Außerdem legte er Wert auf gemeinsame Mahlzeiten und zeigte Bescheidenheit, indem er die einfachen Speisen der Familie ohne Klagen annahm.

Was diese Gelehrten schreiben, entspricht weder dem Koran noch dem Leben des Propheten oder dem gesunden Menschenverstand, sie konnten jedoch ihre Ansichten mit Aussagen wie „Der Prophet sagte…“ oder „Das ist Gottes Wille“ untermauern, wodurch jede Kritik daran unterbunden wurde. 

Für die muslimische Gesellschaft spielt die Religion eine große Rolle. Im Denken vieler Menschen etablierte sich die Sorge, durch kritisches Hinterfragen vom Glauben abzufallen. 

Deshalb werden meist jene, die Fragen stellen, kritisiert und angegriffen, während die angeblichen Gelehrten, die einfach Regeln erfinden, unantastbar bleiben.

Zur Zeit des Propheten jedoch stellten seine Gefährten ihm Fragen wie: „Ist das deine Meinung oder Gottes Wille? Wenn es deine Meinung ist, dann haben auch wir eine Meinung dazu.“ 

Obwohl der Islam den Status eines Klerus aufgehoben und alle Menschen als gleichwertig ohne Hierarchien angesehen hat, hat sich in muslimischen Gesellschaften mit der Zeit dennoch eine Art „Klerus“ entwickelt, der nicht hinterfragt werden darf. 

Selbst einfache Imame zu kritisieren ist heute kaum möglich – geschweige denn die hochrangigen Funktionäre der Glaubensgemeinschaften, die überhaupt nicht hinterfragt werden dürfen.

Dies gilt wohlgemerkt für Männer. Frauen dürfen ohnehin keine Fragen stellen. Seit Jahrhunderten wurden sie so manipuliert und kontrolliert, dass sie meist gar nicht auf die Idee kommen, den Koran selbst zu lesen, selbst zu reflektieren und zu interpretieren. Stattdessen folgen sie ausschließlich den männlich geprägten Strömungen und vertreten meist auch deren Sichtweisen. 

Denn über die Jahrhunderte hinweg wurden Sitten, Traditionen und die Theologie von Männern festgelegt. 

Sie haben bestimmt, wie sich eine Frau verhalten, kleiden und glauben soll. 

Während die männlichen Gelehrten alle Rechte für sich beanspruchen, entsteht der Eindruck, als ob die Gebote, Verbote und Regeln ausschließlich für Frauen gelten.

Theologische Vielfalt und ihre Auswirkungen auf Frauenrollen

Die traditionell-patriarchale Theologie, basierend auf klassischen Quellen und Interpretationen, hat oft dazu beigetragen, Frauen die Stellung als mündige Menschen und eigenständige Persönlichkeiten abzuerkennen. 

So vertritt ein Großteil der Gelehrten die Auffassung, dass Frauen eine untergeordnete Stellung in der Gesellschaft haben und dass Gott den Mann in Vernunft und Verstand überlegen erschuf.

Es gibt jedoch auch Theologen, die nicht patriarchal ausgerichtet sind und einen offenen, universellen, menschenwürdigen und gleichberechtigten Islam vertreten.

Süleyman Ateş, der 12. Präsident der Diyanet „Präsidium für religiöse Angelegenheiten“ in der Türkei, sagt, dass die Religionsgelehrten schuld daran sind, dass die Religionen ihr wahres Gesicht verloren haben, denn sie haben mit ihren Interpretationen die wahre Botschaft ihrer Religion entstellt. Die Masse ist ihnen gefolgt, weil sie nicht gebildet war und ihren Gelehrten vertraut hat. Die Muslime haben zwar nicht den Koran verändert, aber die verschiedenen Schulen und Richtungen haben den Koran nach Belieben gedeutet und so den weiten und offenen Weg des Korans verengt und versperrt. Dadurch kam auch das Licht des Korans nicht zum Vorschein. Damit die Muslime sich aus diesen Vorurteilen befreien können und die reine Lehre des Korans in seiner ganzen Pracht erscheint, müssen sie zum Koran zurückkehren. Und die Gläubigen müssen sich aus den Fesseln der Tradition befreien und ihr Leben erleichtern.

Prof. Yaşar Nuri Öztürk (1951-2016), galt als einer der größten Gelehrten in der Türkei und ist auch international bekannt. Er hat 65 Bücher verfasst. Darunter auch „Asrı Saadetin Büyük Kadınları “, übersetzt: Große/mächtige Frauen des Goldenen Zeitalters. Im Vorwort zu diesem Buch schreibt er: 

„Sowohl die Gelehrten als auch die Machthaber, die die Geschichte des Islam bis heute geleitet haben, konnten die Weisheit und Lehre, die Allah zugunsten der Frauen offenbarte, nicht begreifen, konnten nicht dementsprechend agieren, und daher, anstatt Allahs Barmherzigkeit anzuziehen, ließen sie seinen Zorn in die Tat umsetzen. Die von Männern dominierte Entsetzlichkeit gegenüber den Frauen wird fortgesetzt, indem ihr ein religiöser Anstrich verliehen wird. Es ist schwer, die Bestimmung, dass „die Sklaverei in der islamischen Welt abgeschafft wurde“, als gültig für Frauen zu betrachten. In der islamischen Welt sind Frauen wie Sklaven mit Freiheitsbannern in der Hand. Sie tragen diese Banner und rufen Parolen, die sie auswendig lernen mussten, aber nur Männer genießen alle Segnungen der Freiheit. Der ganze Anteil einer Frau besteht darin, sich mit Versprechungen über das Jenseits zufrieden zu geben“

Hidayet Şefkatli Tuksal, eine muslimische Feministin in der Türkei, schreibt in ihrer Dissertation:

„Obwohl es die lebendigen historischen Beispiele für die persönliche und gesellschaftliche Würde gab, die der Islam den Frauen brachte, den Mut zur aktiven Teilhabe und Gestaltung des Lebens, das Bewusstsein, keinem Geschöpf zu dienen, und die Atmosphäre von Selbstbewusstsein und Freiheit, kam es nach kurzer Zeit dazu, dass sich Würde in Verruf, Mut in Schüchternheit, Selbstbewusstsein und Freiheit in Sklaverei verwandelten, sodass die Frau von der Gesellschaft isoliert, unwissend gelassen und in eine Position gelangte, die „ein bisschen klüger als ein Kind, ein bisschen freier als ein Sklave“ war. Die Frau zog sich in die Hintergrunddienste zurück, um den Erfolg ihres Mannes in Diesseits und Jenseits zu erleichtern.“

Diversität muslimischer Frauen in Österreich

In Österreich zeigt sich eine deutliche Diversität unter muslimischen Frauen. 

Die konservativen und traditionell orientierten Frauen sind in muslimischen Verbänden und Sekten organisiert und sind in den patriarchalen Strukturen völlig untergeordnet. Diese Frauen schweigen, da ihnen eingeredet wird, dass Männer ihre Interessen vertreten und sich für sie einsetzen. Auch Funktionärinnen innerhalb dieser Verbände schweigen ebenfalls, um ihre Position oder Arbeit nicht zu riskieren, wodurch sie das Patriarchat stärken und zu dessen Erfüllungsgehilfinnen werden.

Antimuslimischer Rassismus spielt dem muslimischen Patriarchat in die Hände. Für viele muslimische Frauen gehören Anfeindungen und Angriffe seitens Menschen aus der Mehrheitsgesellschaft zum Alltag. Umso schwerer fällt es den Frauen, sich aus ihren patriarchalen Familienstrukturen zu emanzipieren, die immerhin so etwas wie Gemeinschaft und Anerkennung zur Verfügung stellen. 

Demgegenüber steht eine Vielzahl an säkularen, also weltlich orientierten Musliminnen, die zwar die Mehrheit der muslimischen Gemeinschaft ausmachen, jedoch nicht organisiert sind. Betrachten wir die säkularen Muslim*innen, so sind die Probleme rund um die Gleichstellung der Frau nicht ausgeprägter als in der Mehrheitsgesellschaft. Allerdings sind diese Probleme ungleich deutlicher in jenem Teil der muslimischen Community ausgeprägt, die in ihren Traditionen, Kulturen, historischen Erfahrungen und Verhaltensweisen die untergeordnete Stellung der Frauen bewahren und in der öffentlichen Wahrnehmung als dominant und repräsentativ für die muslimische Gemeinschaft wahrgenommen werden. Einerseits werden säkulare Muslim*innen von der Mehrheitsgesellschaft weniger offensiv abgelehnt, sind aber dennoch nicht willkommen. Andererseits sprechen traditionellen Gruppen den Säkularen erfolgreich das Recht ab, über religiöse Themen zu sprechen.

Die Botschaft und enormer Druck der politischen Islamist*innen, dass Frauen ohne Kopftuch „keine guten Musliminnen“ seien und in die Hölle kämen, führen bei vielen säkularen Frauen zu einem schlechten Gewissen. Auch viele Säkularen glauben, dass die Vorschrift, ein Kopftuch zu tragen, im Koran fest verankert sei und dass sie für das Nichttragen tatsächlich bestraft würden.

Ein Teil der muslimischen Community sucht auch vor dem Hintergrund eines erstarkenden antimuslimischen Rassismus das Heil in traditionalistischen Überlieferungen und orientiert sich stark an den aktuellen Entwicklungen in muslimischen Ländern.

Die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGÖ) vertritt die Ansicht, dass Feminismus unislamisch sei. 

Dies erschwert den Fortschritt in Bezug auf die Stellung der Frau in der muslimischen Community in Österreichs. 

Abgesehen von all den Strömungen und Gruppierungen, die ich erwähnt habe, gibt es eine neue TikTok-Generation. Das stellt die größte Herausforderung unserer Zeit dar, da unsere Jugendlichen dadurch sehr leicht von Pseudo-Gelehrten in den sozialen Medien radikalisiert werden.

Frauenrechte im Islam 

Der Koran hat der Frau ihre volle Würde als Individuum zurückgegeben. Er hat die Sichtweise auf die Frau als unvollständig geschaffenes oder unvollkommenes Wesen verändert und sie sowohl individuell, gesellschaftlich als auch familiär mit Rechten und gerechten Regelungen ausgestattet. Der Koran markiert eine große soziale Reform in einer Gesellschaft, die das weibliche Geschlecht als Schande betrachtete.

Im Koran gelten Männer und Frauen gleichermaßen als Adressaten, und es gelten für beide dieselben Gebote und Verbote.

Bei der Schöpfung macht der Koran keinen Unterschied zwischen Mann und Frau; beide Geschlechter wurden aus dem gleichen Wesen (Nafs-i Wahida) erschaffen.

Der Koran hebt die Legende von der Erbsünde auf, die der Frau die Schuld am Ausschluss aus dem Paradies zuschreibt. Wenn im Koran vom Sündenfall die Rede ist, wird niemals nur auf Eva verwiesen. Es gibt sogar Verse, die ausschließlich auf Adam verweisen.

Darüber hinaus gewährt der Koran Frauen das Recht auf Bildung, Erbschaft, Scheidung, Mitspracherecht, Führungsrecht und Selbstverantwortung.

Als die Muslime verschiedenen Religionen und Kulturen begegneten offenbarte die Notwendigkeit der Muslime, ihre religiösen Gedanken entsprechend der neuen Situation zu positionieren. Diese Interaktion ebnete den Weg für die Entstehung und Diskussion einiger neuer Situationen in theologischen Fragen.

Die islamische Rechtsfindung war immer vielfältig, ortsgebunden und wurde für die Herausforderungen ihrer Zeit entwickelt. Seit jeher gab es keine Übereinstimmung in der Rechtsfindung. 

Durch Interaktion änderten sich sogar die gleichen Strömungen in gleichem Zeitraum in verschiedenen Orten ihre Sichtweisen. 

In Europa, wo andere gesellschaftliche Umstände herrschen als in muslimischen Ländern, hat sich dadurch eine neue Vielfalt an Einstellungen und Herausforderungen entwickelt. 

Der Koran lässt durch seine mehrdeutigen und offenen Verse Raum für neue Zugänge und Interpretationen. Im modernen Europa, wo andere gesellschaftliche Umstände herrschen als in muslimischen Ländern, entwickelt sich auf dieser Basis eine neue Vielfalt an Einstellungen und Herausforderungen. 

Eine kritische Auseinandersetzung mit erfundenen Hadithen und patriarchalen Interpretationen des Koran ist notwendig, um eine geschlechtergerechte Glaubenspraxis zu fördern.

Erst in jüngster Zeit entwickelt sich in Europa eine eigenständige islamische Theologie, die sich vorwiegend auf den Koran und auf das Leben des Propheten bezieht und den Muslim*innen eine neue Orientierung zur Verfügung stellt. 

Diese Entwicklung zielt insbesondere auf ein gedeihliches Zusammenleben der Geschlechter und Communities in westlichen Gesellschaften ab. Sie ist für eine friedliche, gedeihliche Zukunft dringend notwendig und sollte allseits nach Kräften gefördert werden. 

Es ist längst an der Zeit, dass auch Frauen sich mit diesen Fragen des Glaubens auseinandersetzen, reflektieren und selbst bestimmen, wie sie sich verhalten, kleiden und ihren Glauben leben möchten.

Praktische Relevanz für Pädagog*innen

Nun stellt sich die Frage, was all das für angehende Pädagog*innen bedeutet. 

Sie werden muslimischen Mädchen und Frauen begegnen, die unterschiedliche Perspektiven und Bedürfnisse mitbringen. 

Für zukünftige Lehrkräfte bedeutet das:

  1. Fördern Sie die Selbstbestimmung Ihrer muslimischen Schülerinnen, indem Sie Räume schaffen, in denen sie offen und ohne Vorurteile über ihre Identität sprechen können.
  2. Sehen Sie jede Schülerin als Individuum mit eigenen Stärken und Interessen. Legen Sie den Fokus auf persönliche Qualitäten anstatt auf kulturelle oder religiöse Merkmale.
  3. Wählen Sie vielfältige und realistische Materialien, die muslimische Frauen facettenreich darstellen. So vermitteln Sie, dass es keine „typische“ muslimische Frau gibt und dass der Islam eine Bandbreite an Interpretationen und Meinungen zulässt.
  4. Zeigen Sie positive Vorbilder und Diversität: Bringen Sie muslimische Frauen als positive Rollenvorbilder in den Unterricht ein, die in verschiedenen Berufen und Lebensbereichen aktiv sind. Das hilft, Stereotype zu durchbrechen und die Vielfalt muslimischer Identitäten sichtbar zu machen.

Indem Sie Stereotype aufbrechen und muslimische Schülerinnen individuell fördern, schaffen Sie ein respektvolles und aufgeschlossenes Lernumfeld, dass der Vielfalt gerecht wird.

Mit diesem Überblick hoffe ich, die Vielfalt muslimischer Frauen sowie die unterschiedlichen Strömungen und Deutungen im Islam verdeutlicht zu haben. 

Möge diese Erkenntnis uns helfen, Stereotype zu hinterfragen und neue Wege für Zusammenarbeit und gegenseitiges Verständnis zu eröffnen.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit und Ihr Interesse an diesem Thema.

Mag.a Dr.in Fatma Akay-Türker

5. November 2024

Pädagogische Hochschule der Erzdiözese Linz

Link zur Veranstaltung:

https://www.phdl.at/news/newsdetail/lev-diversitaet-foerdern-und-leben

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